Kündigungsschreiben gilt auch bei bekannter urlaubsbedingter Abwesenheit des Arbeitnehmers als ihm zugegangen

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 29.04.2009 – 17 Sa 47/08

Das Bundesarbeitsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass zur Erreichung einer sachgerechten Verteilung des Transportrisikos des Erklärenden einerseits und des Kenntnisnahmerisikos des Empfängers andererseits ein an die Wohnung in Deutschland gerichtetes Kündigungsschreiben grundsätzlich auch bei Kenntnis des Arbeitgebers von der urlaubsbedingten Abwesenheit des Arbeitnehmers zugeht. Dies gilt in der Regel selbst dann, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber seine Urlaubsanschrift mitgeteilt hat. Lediglich bei besonderen Umständen des Einzelfalls kann sich aus § 242 BGB eine abweichende Würdigung ergeben (Rn. 16).

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart – Kammern Aalen – vom 02.11.2006 – Az.: 9 Ca 212/06 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

2. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Beendigung des seit 1977 bestehenden Arbeitsverhältnisses aufgrund außerordentlicher Arbeitgeberkündigung vom 20.12.2005 (ABl. 4 der erstinstanzlichen Akte).

2

Der Kläger, der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, befand sich im Sommer 2005 während seines Erholungsurlaubs in seinem Heimatland Tunesien. Die Daten der Urlaubs- bzw. Freischichtzeiten sind zwischen den Parteien streitig. Seit 18.07.2005 übersandte der Kläger insgesamt 26 privatärztliche Krankmeldungen in französischer Sprache mit handschriftlicher Übersetzung und einer tunesischen Anschrift als Absender (Aktenblatt 66 ff. der erstinstanzlichen Akte). Bis zum 22.11.2006 war der Kläger unter der Anschrift „I…“ gemeldet (Aktenblatt 99 der erstinstanzlichen Akte). Ab 12.09.2007 ist er unter der Anschrift „K…“ gemeldet (Aktenblatt 100 der erstinstanzlichen Akte).

3

Nachdem der Kläger sich weder auf ein an die deutsche Anschrift gerichtetes Telegramm (Aktenblatt 48) noch auf ein sowohl an die deutsche als auch an die tunesische Absenderanschrift gerichtetes Schreiben (Aktenblatt 52 der erstinstanzlichen Akte) gemeldet hatte, sandte die Beklagte am 17.11.2005 nochmals ein Telegramm an die S… Anschrift mit der Aufforderung, am 21.11.2005 die Arbeit aufzunehmen. Keines der Schreiben kam als unzustellbar zurück. Nachdem der Kläger auch auf das letzte Schreiben nicht reagierte, leitete die Beklagte die Kündigung des Klägers in die Wege. Der Betriebsrat wurde mit Schreiben vom 14.12.2005 (Aktenblatt 120 ff.) der erstinstanzlichen Akte angehört. Das Integrationsamt stimmte der Kündigung mit Beschluss vom 13.12.2005 zu (Aktenblatt 113 ff. der erstinstanzlichen Akte). Die Beklagte legt ein Protokoll vor, wonach am 20.12.2005 das Kündigungsschreiben unter der deutschen Anschrift des Klägers in den Briefkasten des Gebäudes „I…“ eingeworfen wurde (Aktenblatt 7 der erstinstanzlichen Akte).

4

Der Kläger behauptet, erst am 31.01.2008 von der Kündigung Kenntnis erlangt zu haben. Da der Beklagten die tunesische Anschrift des Klägers bestens bekannt gewesen sei, habe sie die Kündigung nicht nur an die deutsche Anschrift schicken dürfen. Am 20.12.2005 und auch danach habe die mit der Leerung des Briefkastens befasste Zeugin H. kein Schreiben im Briefkasten in Deutschland vorgefunden. Vorsorglich bestreitet der Kläger, dass die Boten der Beklagten Kenntnis vom Inhalt des eingeworfenen Briefs gehabt hätten. Mit seiner am 28.10.2008 eingelegten und zugleich begründeten Berufung verfolgt der Kläger die Abänderung des ihm am 30.09.2008 zugestellten erstinstanzlichen klagabweisenden Urteils, auf das Bezug genommen wird, mit dem Antrag

5

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 20.12.2005 noch durch eine ordentliche Kündigung der Beklagten aufgelöst worden ist,

6

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis über den 20.12.2005 hinaus fortbesteht,

7

3. hilfsweise die Kündigungsschutzklage nachträglich zuzulassen.

8

Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung.

9

Sie wehrt sich gegen den Vorwurf der Treuewidrigkeit bei der Zustellung der Kündigung an die deutsche Adresse. Zum Beweis für den Einwurf des Kündigungsschreibens beruft sie sich auf das Zeugnis des Mitarbeiters des Werkschutzes Herrn M. und des damaligen Auszubildenden im Personalbereich Herrn R., die die Kammer vernommen hat. Auf die Niederschrift vom 29.04.2009 wird Bezug genommen.

10

Hinsichtlich des Sachverhalts im Übrigen wird ergänzend auf den schriftsätzlichen Vortrag der Parteien im Berufungsverfahren Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

11

Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 2c) ArbGG statthaft. Sie ist unzulässig, soweit der Kläger die Feststellung begehrt, dass das Arbeitsverhältnis über den 20.12.2005 hinaus ungekündigt fortbesteht. Insoweit enthält die Berufung des Klägers keine Begründung.

12

Im Übrigen ist die Berufung zulässig, jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht die Klage als unzulässig abgewiesen.

13

1. Der Kläger hat die Klagefrist gemäß § 4 KSchG nicht eingehalten. Die Kündigung ist dem Kläger am 20.12.2005 zugegangen. Die Klageerhebung erfolgte erst am 06.02.2008.

14

a) Gemäß § 4 S. 1 KSchG muss die Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung beim Arbeitsgericht erhoben werden. Gemäß § 130 Abs. 1 BGB geht ein Kündigungsschreiben zu, wenn es in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers bzw. eines empfangsberechtigten Dritten gelangt ist (1) und unter gewöhnlichen Umständen die Möglichkeit besteht, vom Inhalt des Schreibens Kenntnis zu nehmen (2).

15

(1) Das Kündigungsschreiben ist am 20.12.2005 unter der der Beklagten bekannten Anschrift des Klägers „I…“ in den Briefkasten des Klägers gelangt. Hiervon ist die Kammer nach der Vernehmung der Zeugen M. und R. überzeugt. Der Zeuge R. hat nicht nur bekundet, dass ein Schreiben in den Briefkasten eingelegt wurde, sondern dass es sich dabei um ein Kündigungsschreiben gehandelt habe, weil er den Vorgang als Auszubildender in der Personalabteilung von Anfang bis Ende mitverfolgt habe. Die Glaubwürdigkeit wird nicht dadurch erschüttert, dass nicht der Zeuge selbst, sondern seine Ausbildungsleiterin das Kündigungsschreiben einkuvertiert hat. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte etwas anderes als das Kündigungsschreiben per Boten zugestellt hat. Das hat der Kläger auch nicht behauptet. Der Vernehmung der vom Kläger benannten Zeugin H. bedurfte es nicht. Zwar hat der Kläger behauptet, diese habe „am 20.12.2005 und danach … kein Schreiben im Briefkasten in Deutschland vorgefunden.“ Dieses Beweisangebot ist jedoch unzulässig. Es dient nicht dem Beweis vorgetragener Tatsachen, sondern der Ausforschung. Es ist nicht ersichtlich, wann die Zeugin, die wohl auch in R. einen Wohnsitz hatte (Aktenblatt 176 der erstinstanzlichen Akte und Vortrag in der Berufungsschrift) den Briefkasten geleert hat und was sie dort gegebenenfalls vorgefunden hat. Dies hätte der Kläger jedoch ausführen müssen, um hinreichend plausibel zu bestreiten, dass sich das Kündigungsschreiben im Briefkasten befand.

16

(2) Seit der Entscheidung vom 16.03.1988 (7 AZR 587/87, AP Nr. 16 zu § 130 BGB, NZA 1988, 2415) geht das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass zur Erreichung einer sachgerechten Verteilung des Transportrisikos des Erklärenden einerseits und des Kenntnisnahmerisikos des Empfängers andererseits ein an die Wohnung in Deutschland gerichtetes Kündigungsschreiben grundsätzlich auch bei Kenntnis des Arbeitgebers von der urlaubsbedingten Abwesenheit des Arbeitnehmers zugeht. Dies gilt in der Regel selbst dann, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber seine Urlaubsanschrift mitgeteilt hat. Lediglich bei besonderen Umständen des Einzelfalls kann sich aus § 242 BGB eine abweichende Würdigung ergeben (BAG a. a. O., Rnr. 24; bestätigt im Urteil vom 11.08.1988, 2 AZR 12/88, n. v. Rnr. 32 ff.; Urteil vom 02.03.1989, 2 AZR 275/88, AP Nr. 17 zu § 130 BGB, NZA 1989, 635, Rnr. 38 f).

17

a) Ein treuwidriges Verhalten der Beklagten ist im vorliegenden Fall nicht zu erkennen. Zwar war ihr die tunesische Anschrift des Klägers aufgrund des Absenders auf den Krankmeldungen bekannt. Der Kläger hat aber weder auf die an die deutsche Anschrift gerichteten Telegramme noch auf das an die deutsche Anschrift und die tunesische Anschrift gerichtete Schreiben vom 28.09.2005 (Aktenblatt 52) reagiert. Da die an die deutsche Anschrift gerichteten Schreiben auch nicht als unzustellbar zurückkamen und der Kläger auch weiterhin bis zum 22.11.2006 unter dieser Anschrift in S. beim Einwohnermeldeamt registriert war, musste die Beklagte nicht davon ausgehen, dass der Kläger seinen Lebensmittelpunkt vorübergehend oder auf Dauer nach Tunesien verlegt hatte. Sie durfte das Kündigungsschreiben deshalb an die ihr bekannte Adresse in Deutschland zustellen.

18

b) Die Voraussetzungen nach § 4 S. 4 KSchG hat der Kläger nicht dargelegt. Zwar hat er in der Klage vom 06.02.2008 erklärt, er wisse nicht, ob das Integrations-amt der Kündigung zugestimmt habe. Auf den darauf eingehenden Sachvortrag der Beklagten (Aktenblatt 105, 113 ff. der erstinstanzlichen Akte) hat der Kläger nicht erwidert. Auch aus die Ausführungen des Arbeitsgerichts im Urteil vom 24.09.2008 unter II. b) der Gründe ist der Kläger im Berufungsverfahren nicht weiter eingegangen. Es bleibt deshalb bei der dreiwöchigen Klagefrist ab dem 20.12.2005.

19

2. Die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage ist gemäß § 5 Abs. 3 S. 2 KSchG nicht mehr möglich. Dabei kann dahinstehen, ob der Kläger die Klagefrist schuldhaft versäumt hat und wann das Hindernis, die Klage rechtzeitig zu erheben, behoben war (§ 5 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 KSchG). Denn nach Ablauf von 6 Monaten vom Ende der versäumten Frist an gerechnet kann der Antrag auf nachträgliche Zulassung nicht mehr gestellt werden.

20

Das Arbeitsgericht hat die Klage deshalb zu Recht als unzulässig angesehen (EK Kiel, 9. Aufl. 2009, § 5 KSchG Rnr. 30).

II.

21

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Dieser Beitrag wurde unter Arbeitsrecht abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.